Sebastian Geisler von der Berliner Morgenpost im Interview
Sebastian Geisler ist Journalist bei der Berliner Morgenpost und hat uns verraten was für ihn das Faszinierende am Schreiben ist und was die Welt des Journalismus so spannend und abwechslungsreich macht.
Sebastian, kannst Du uns ein bisschen was zu Dir und Deinen Aufgaben erzählen?
Ich stehe meist irrsinnig früh auf. Im Schichtsystem steuern, bestücken und produzieren wir den Online-Auftritt der Berliner Morgenpost. Da bin ich oft in der Frühschicht aktiv. Wir haben die Agenturen im Blick, erarbeiten Texte, Zeilen, gewichten Nachrichten, kommunizieren mit der Community in den Sozialen Netzwerken – und schreiben mitunter auch selbst mal eine Geschichte. Auch letzteres ist übrigens früh morgens und nachts am Schönsten.
Wie bist Du zu Deinem Job als Journalist gekommen?
Ich habe mit 18 angefangen, neben der Schule auf Zeilengeld für ein Lokalblatt zu schreiben. Später war ich beim Rundfunk in Namibia und bloggte für Zeit-Online, dann war ich auf der Axel Springer Akademie als „Welt“-Volontär. Schließlich wurde ich Redakteur und bin es seitdem geblieben, mal hier, mal dort.
Wie sieht Dein Alltag als Journalist aus?
Wir arbeiten im Newsroom am Kurfürstendamm im Schichtsystem. Da ist der Rahmen weitgehend gleichförmig: Ziemlich zügiges Arbeiten am Newsdesk mit Blick auf diverse Monitore. Inhaltlich wiederum ist kein Tag wie der andere. Bei manchen „Breaking News“-Geschichten wird man geradezu zu einem der ersten Chronisten von Ereignissen erheblicher Tragweite. Der Tag, an dem sich wenige hundert Meter von unserer Redaktion entfernt der Lkw-Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz ereignete, war so eine Situation. Früher schrieb ich auch mal als Gesellschaftsreporter für die „Leute“-Seite und bei der „Welt am Sonntag“ über Mode und Partnerschaft, mal auch über das südliche Afrika oder einen Stasi-Bürgermeister. Der Journalismus ist insgesamt sehr abwechslungsreich.
Wenn Du Deinen Job in einem Tweet beschreiben müsstest, wie würde er lauten (Beachte die 140 Zeichen 😉 )?
Ganz klar: „Was ist das für 1 Life?“
Magst du aus dem Nähkästchen plaudern und uns eine kleine Anekdote aus Deinem Alltag verraten?
Als Volontär durfte ich meinen bescheidenen Geist an dem ungleich größeren von Mode- und Stilexperte Joachim Bessing schärfen. Dann ging ich als Hospitant zu Bild.de. Dort spürte Bessing – im Anzug samt Einstecktuch – mich im Politik-Newsroom auf und übergab mir mit großer Geste mehrere Tütensuppen, da ich als armer Volontär daran ja sicher Bedarf hätte. Ich stand also da mit diesen Tütensuppen, die Kollegen guckten verwundert und Bessing sagte zur Erklärung in den Raum: „Jaaa, Geisler war meine beste Kraft! Leider wollen immer andere ihn haben!“ Dann machte er kehrt und ging. Dass ich seine beste Kraft gewesen wäre, stimmte natürlich nicht, aber dieser Auftritt war eine sehr heitere Szene. Leider werden auch im Journalismus die Menschen immer stromlinienförmiger. Er nicht.
Was fasziniert Dich am Schreiben?
Zweierlei. Zum Einen ist es für mich Handwerkszeug. Als Redakteur ist es meine Aufgabe, die Realität so akkurat wie nur irgend möglich abzubilden. Genau darum geht es. Das ist der Unterschied zwischen Journalismus auf der einen und Propaganda und Fake News auf der anderen Seite. Das gilt für Politikjournalismus genauso wie für Sport- oder Modejournalismus. Zum Anderen: Mit dem Schreiben kann man kraft seiner Gedanken eine ganze Welt erschaffen. Das ist phänomenal. Es ist Wahnsinn, was ein Text transportieren kann. Das gilt natürlich auch für das fiktionale Schreiben, das ich aber nur privat betreibe.
Kommunikation ist wichtig und Schreiben hat in den letzen Jahren immens an Bedeutung gewonnen. Was macht für Dich, Sebastian, einen guten Artikel oder Blogpost aus?
Die absolute Treue zu Fakten und Realität. Und zugleich sollte er natürlich möglichst geschliffen formuliert sein. Da findet man auch im Modejournalismus hervorragende und auch grauenhafte Beispiele. Eine tolle Stil-Autorin ist zum Beispiel Silke Wichert. Sie transportiert in ihren Texten über Mode und schöne Dinge meist ein ganzes Lebensgefühl.
Was ist Dein 1×1 des Schreibens? Welche Tipps kannst Du den aufstrebenden Bloggerinnen da draußen mitgeben?
Absolute Faktentreue. Hat man mir auch im „Stil“ bei der „Welt am Sonntag“ eingeschärft. Ich kann nicht schreiben, dass das von mir beschriebene Parfum nach Rosenblüten riecht, nur weil das so im PR-Text steht. Das muss ich schon selbst gerochen haben. Bei Modeblogs finde ich auch Transparenz wichtig: Wenn ein Produkt zur Verfügung gestellt wurde, sollte ein entsprechender Hinweis unter dem Text stehen. In Sachen Schreiben außerdem wichtig: „Kill your darlings!“ Vermeintlich geniale Formulierungen, die man hingeschrieben hat, weil sie so gut klingen, sind einem hinterher meist besonders peinlich. Insofern: im Zweifel direkt weg damit!
Woran liegt es Deiner Meinung nach, dass Secondhand in den letzten Jahren immer beliebter geworden ist?
Es ist schon ökonomisch gar nicht sinnvoll, alles neu zu kaufen. Viele gebrauchte Dinge sind wunderschön. Man spricht nicht umsonst inzwischen von „Vintage“. Und manches ist ja sogar wie neu. Ich habe zum Beispiel wunderbare Hemden aus New York im Schrank, die ich nie getragen habe. Die Verkäuferin hatte mir die falsche Größe gegeben – und umtauschen konnte ich sie nicht mehr. Jemand anderem könnten sie aber perfekt stehen. Sie sind viel zu schade, um nur im Schrank zu hängen.
Hast du einen Fashionfetisch?
Am ehesten sind es Hemden. Und zwar solche, die möglichst perfekt sitzen. Letztes Jahr habe ich in London gelebt, da habe ich Charles Tyrwhitt in der Jermyn Street (am Piccadilly Circus) für mich entdeckt. Da kann ich praktisch nicht dran vorbeigehen. Und dann natürlich Schuhe! Davon müssen es allerdings nicht zu viele sein. Selbiges gilt für Uhren. Lieber etwas teurer, dafür weniger kaufen. Und wenn Parfum noch unter Fashion fällt: In „Penhaligon’s“ könnte ich baden.
Welchen Modetrend verstehst Du nicht?
Früher fand ich Baggy Pants sehr seltsam. Die trägt heute ja niemand mehr. Nasenringe oder generell irgendwelches Metall im Gesicht sind mir suspekt. Und: untätowiert ist das neue tätowiert!
Jeder hat sie und kaum einer gibt es zu, Du hast die Chance dazu. Welche Leiche schlummert in Deinem Kleiderschrank?
Ein südafrikanische Rugbytrikot von 2007. In dem Jahr wurden die „Springboks“ Weltmeister und ich war in Johannesburg. Also kaufte ich eines. Es gibt wirklich keine Gelegenheit, das anzuziehen. Und zu groß ist es natürlich auch.
Was macht Dich glücklich?
Lange Sommertage in Schleswig-Holstein, wenn es erst um halb elf dunkel wird. Natürlich nur, wenn es nicht gerade regnet. Ansonsten, so platt das klingt: Gesundheit für die Menschen in meinem Umfeld und mich ist ein ganz erheblicher Faktor. Das kann man nicht hoch genug einschätzen.
Wer oder was inspiriert Dich?
Beim Schreiben? Da ist und bleibt die Deadline die wirkmächtigste Inspiration. Oder eben die Nachrichtenlage. Wie gesagt: Es ist Handwerk wie Fliesenlegen. Manchmal, aber wirklich selten kommt der magische Moment: Ein toller Einfall, den man dann nur noch und sofort aufschreiben muss. Aber das ist leider so selten, dass man sich darauf nicht verlassen sollte. Es kommt aber vor.
Wen würdest Du gerne persönlich treffen?
Meinen Urgroßvater mütterlicherseits, den ich nie kennengelernt habe. Bei seinem letzten Fronturlaub sagte er zu meiner Oma: „Wenn der Krieg vorbei ist, dann machen wir alle ein großes Fest und dann wird alles wieder gut.“ Dazu kam es nie. Er starb kurz darauf an der Front, da war meine Oma 13. Ansonsten würde ich mir gern mit zeitlichem Abstand von Barack Obama erzählen lassen, was ihm durch den Kopf ging, als Donald Trump die Wahl gewonnen hat. Aber das sagt er uns eines Tages vielleicht allen.
Welche Ziele möchtest Du im nächsten Jahr erreichen?
Ein paar Projekte abschließen, die ich angefangen habe. Mehr schreiben! Mehr schreiben ist immer gut.
Mode wird häufig mit Wegwerfgesellschaft in Verbindung gebracht. Welchen Beitrag leistest Du, um dieser Ansicht entgegen zu wirken?
Ich kaufe möglichst Qualität – was übrigens nicht zwingend mit dem Preis zu tun hat. Und das nutze ich dann lange. Da ich mich eher klassisch kleide, also weniger trendgebunden bin, funktioniert das gut. Es ist erstaunlich, wie lange gute Schuhe zum Beispiel halten können, wenn man sie pflegt.
Vielen Dank lieber Sebastian Geisler, für die spannenden und interessanten Eindrücke in die Welt der Redakteure und des Schreibens.